Impressionistische Fotografie
Charakteristisch für die impressionistische Malerei ist der Einsatz von Farbe, ohne eine Begrenzung durch die Linie. Unsere Kollegin, die Kunsthistorikerin Lisanne Heitel, erläutert im Interview, wie diese Malweise um 1900 auch die Fotografie prägte – die sich schließlich zu einer eigenen Kunstform entwickelte.
Frau Heitel, mit dem Impressionismus etabliert sich die Fotografie erstmals zu einer Kunstform. Wie ist es dazu gekommen?
Die Fotografie war seit Mitte des 19. Jahrhunderts vor allem von Berufsfotografen für Studioporträts genutzt worden. In den 1880er Jahren hatte die Weiterentwicklung der Fototechnik die Grundlagen für eine Neuausrichtung gelegt: Durch Rollfilme und Gelatinetrockenplatten konnte die Belichtungszeit stark reduziert werden. Die Einführung von kleinen stativlosen Handapparaten sowie die Möglichkeit, vorbeschichtete Negative in Fotogeschäften entwickeln zu lassen, riefen eine in Vereinen und Hobbyclubs organisierte Amateurbewegung ins Leben. Die Bildthemen dieser bürgerlichen Amateure, die sich in Abgrenzung zu den kommerziellen Studiofotografen als Kunstfotografen verstanden, glichen denen der impressionistischen Künstler. Es ging um die Ästhetisierung des ländlichen Lebens angesichts einer sich rasant ändernden Welt sowie um die Dokumentation der technischen Neuerungen.
Mit den Amateuren entdeckten auch erste bildende Künstler die Fotografie...
Ja, das ist richtig. Der Marinemaler Arnold Petersen und der Flensburger Maler Jacob Nöbbe hielten in ihren Aufnahmen Dampfschiffe und Dampflokomotiven fest, Symbole der Industrialisierung und einer neuen Zeit. Ebenso wie die impressionistischen Maler stellten auch diese Fotografen das bürgerliche Leben dar. Sie fotografierten Freunde und Familienmitglieder etwa am Strand oder auf Wanderungen. Dabei verfolgten sie unterschiedliche künstlerische Ambitionen, die von der reinen Dokumentation über das Einfangen spezieller Lichtverhältnisse bis zur Imitation von Gemälden reichten. Die Fotografie Zwei Wanderer des Berufsfotografen Hermann Schwegerle verweist auf Caspar David Friedrichs Wanderer über dem Nebelmeer.
Und wann bzw. wie entwickelte sich die Fotografie dann als eigene Kunstform – gleichwertig zur Malerei?
Ein herausragender Name dieser ersten Fotokünstler - einer der bedeutendsten Vertreter des Piktorialismus - ist Heinrich Kühn (1866 –1944). Mit grobem Papier und speziellen Filtern strebten er und andere eine Weichzeichnung an, die sich, in Verbindung mit der spielerischen Verschiebung des Fokus und der Perspektive, sowohl von der Studio- als auch von der Amateurfotografie abwandte und der impressionistischen Malerei nahe kam. Der aus wohlhabendem Hause stammende Kühn widmete sich nach einem medizin- und naturwissenschaftlichen Studium ganz der Fotografie und feierte bald Erfolge auf Ausstellungen in Rom, Berlin, Budapest und in den USA.
Können Sie seine Kunst anhand eines seiner Werke näher erläutern?
Sein frühes Hauptwerk, Miss Mary, zeigt das Kindermädchen Mary Warner, das nach dem Tod seiner Frau im Jahr 1905 seine Geliebte und sein meistfotografiertes Modell wurde. Die scheinbar so spontan einen flüchtigen Moment, eine kurze Bewegung einfangende Fotografie ist nicht nur im bildlichen Aufbau bis ins Detail durchkomponiert, sondern auch in den einzelnen Tonwerten, die erst bei der Positivkopie entstehen. Dabei wird eine lichtsensible Schicht mit einem Anteil Gelatine gehärtet, bevor die nicht vom Licht betroffenen Stellen ausgewaschen werden. Es entsteht eine dem Holzschnitt verwandte Platte, aus der das Positiv gedruckt wird. Der von Kühn zeitlebens weiterentwickelte und verfeinerte Lichtdruck bot die Möglichkeit, die Tonwerte nach dem Willen des Fotografen während des Entwicklungsprozesses zu beeinflussen, und vermied darüber hinaus jegliche für die Fotografie charakteristische Glätte und Durchzeichnung.
All das ist sicherlich nicht aus dem Nichts heraus entstanden. Wer oder was haben Künstler wie Heinrich Kühn geprägt, inspiriert…?
Vorreiter der künstlerischen Fotografie war unter anderem der englische Arzt und Hobbyfotograf Peter Henry Emerson (1856 –1936). Er hob den kreativen Anteil des Fotografen am Werk gegenüber den technischen Mitteln der Kamera besonders hervor. Damit wandte er sich zum einen gegen die Erfindergeneration, die Kameras als selbstständige Automaten betrachtete, zum anderen gegen die Kritiker, die die Fotografie lediglich als „mechanische Wirklichkeitswiedergabe“ abtaten. Wegbereiter wie Emerson unterstrichen die künstlerische Leistung des Fotografen nicht nur dadurch, dass dieser die Wahl des Motivs, des Ausschnitts, der Perspektive und der Beleuchtung traf, sie stellten darüber hinaus die Forderung an die Fotografen, die Wirklichkeit schon auf der „Mattscheibe des Geistes“ in Schwarz-Weiß-Werte zu übersetzen und ihre Wertrelationen zu erkennen. Damit sollte jede Zufälligkeit, jedes ungeplante Moment durch den Apparat ausgeschlossen sein, die Kamera im Prinzip mit dem Pinsel des Malers gleichgesetzt werden und der Fotograf in der Konsequenz mit dem Künstler.