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Yinka Shonibare Discobolus (nach Naukydes)

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Anlässlich des 20jährigen Jubiläums von Globushaus und Gottorfer Globus präsentieren die Landesmuseen den renommierten britisch-nigerianischen Künstler Yinka Shonibare CBE RA (1962 London, GB), der in seinem vielseitigen Œuvre das Erbe des westlichen Kolonialismus untersucht. Bekannt geworden ist Shonibare durch raumgreifende Installationen mit kopflosen, lebensgroßen Figuren in historischen Kostümen, die aus mit markanten und bunten Mustern verzierten Baumwollstoffen (Dutch Wax) geschneidert sind.
Der Künstler sieht sich selbst in der Rolle eines „postkolonialen Hybriden“ und stellt die Dekonstruktion von nationalen und kulturellen Identitäten ins Zentrum seines Schaffens. Er greift bevorzugt Episoden aus der europäischen Kunst und Geschichte des 18. und 19. Jahrhunderts auf und gestaltet sie zu tragikomischen Szenen des menschlichen Tuns aus. In seinem Werk verbindet er Theatralik und feine Ironie mit historischer Tiefenschärfe. Historische Rollenspiele, Tanz, Oper und spielerische Adaptionen kunsthistorischer Ikonen gehören zu seinem Repertoire, das durch eine besondere Vorliebe für die Dekadenz des Rokoko-Zeitalters und das viktorianische Dandytum gekennzeichnet ist.   
Das Globushaus im Gottorfer Barockgarten zeigt Shonibares lebensgroße Figur „Discobolus (nach Naukydes)“, die durch die römische Wiederholung einer verlorengegangenen griechischen Skulptur aus dem späten 5. Jahrhundert v. Chr. inspiriert ist. Naukydes war ein bedeutender Bildhauer der griechischen Klassik; die in Marmor gefasste Nachahmung seiner Skulptur wurde 1792 von dem Händler Gavin Hamilton auf der Via Appia ausgegraben und befindet sich in der Sammlung der Vatikanischen Museen. Die bekannte Figur wurde über Jahrhunderte als Darstellung des schönen, aber tragischen Jünglings Hyakinthos gesehen, der bei einem Wettkampf ums Leben kam und aus dessen vergossenem Blut der trauernde Gott Apoll eine Blume, die Hyazinthe, erblühen ließ. 
Shonibare bezieht sich auf die antike Skulptur und lässt seinen Diskuswerfer in bunter Bemalung auftreten, die wiederum das Kolorit und die Motivik westafrikanischer Mode zitiert. Die charakteristischen Dutch Wax-Stoffe wurden ursprünglich durch indonesische Batikstoffe inspiriert und in den Niederlanden und Großbritannien für den fernöstlichen Markt in Massenproduktion hergestellt. Schließlich fanden die bunten Stoffe jedoch vor allem in Westafrika einen kolonialen Absatzmarkt. Seit den 1960er Jahren entwickelten sie sich zu einem starken Symbol afrikanischer Identität und Unabhängigkeit. Shonibare nutzt die visuelle Attraktivität des Dutch-Wax-Stoffe, um die Hybridität von kulturellen Identitäten und die Auswirkungen des kolonialen Handels aufzuzeigen. Die Besonderheit seiner von der Antike inspirierten Skulpturen ist jedoch, dass er den Stoff aufmalt. 
Der Künstler verweist darauf, dass die klassischen Skulpturen ursprünglich in leuchtenden Farben bemalt waren und der deutsche Archäologe und Kunstschriftsteller Johann Joachim Winckelmann sich irrte, als er vor über 250 Jahren eine gleichsam ewig weiße klassische Antike behauptete. Der längst widerlegten Auffassung Winckelmanns von der edlen „Weißheit“ der antiken Skulptur begegnet die aktuelle Forschung mit Farbrekonstruktionen. Diese vermögen eine Vorstellung davon zu geben, wie eine Skulptur ausgesehen haben könnte. Shonibare spielt mit dieser Form der Rekonstruktion, indem er das westliche Kulturideal durch geschichtliche Multiperspektivität ersetzt. 
Die bunte Skulptur wird zu einer Art Metapher, die den idealisierten antiken Körper mit verschiedenen Zeitebenen und Perspektiven versieht. Die aufgemalten Flugzeuge erinnern an militärische Bomber, die von Rauchschwaden begleitet und umhüllt werden – sie verweisen auf globale Konflikte. Der Kopf der Skulptur wurde durch einen handbemalten Globus ersetzt, der die weltumspannende Perspektive betont. Anstelle des Gesichts wendet sich der afrikanische Kontinent direkt zu den Betrachtenden. Während die antike Marmorskulptur aufgrund ihrer Materialität einen halbhohen Baumstamm benötigt, um dem athletischen Hyakinthos Halt zu geben, kommt der Diskuswerfer von Shonibare ohne stützendes Beiwerk aus. Im Gegensatz zur antiken Vorlage sind die Geschlechtsteile des Athleten mit einem goldenen Feigenblatt verdeckt. Bei der Restaurierung von antiken Statuen wurde das Feigenblatt zuweilen nachträglich als Tribut an das christliche Schamgefühl ergänzt.
Neben der schamhaften Verhüllung kommt dem Feigenblatt aber auch die Bedeutung der scheinheiligen Verschleierung von wahren Sachverhalten zu. Shonibares Discobolus verknüpft europäische Kunstgeschichte mit aktuellen postkolonialen Diskursen: die Welt war und ist bunter, vielfältiger und komplexer als wir uns gemeinhin vorstellen.

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